„Wir haben eine Kultur zu verteidigen!“

Das Publix-Haus ist eine Initiative der Schöpflin Stiftung aus Lörrach. Im Gespräch mit Maria Exner erklärt der Gründer Hans Schöpflin, wie ihn der globalisierungskritische Straßenkampf in den USA zum Philanthropen machte. Und warum er in den Journalismus investiert.

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Hans Schöpflin ist Unternehmer und Vorstandsvorsitzender der Schöpflin Stiftung. Er wurde 1941 als Sohn einer Lörracher Unternehmerfamilie geboren, die mit ihrem 1930 gegründeten Versandhaus Wirtschaftsgeschichte schrieb. Hans Schöpflin war 40 Jahre in den USA zunächst als Executive, dann als erfolgreicher Unternehmer tätig.

Herr Schöpflin, hinter Ihnen liegt ein langes Berufsleben als Unternehmer und Investor. Was bedeutet Ihnen Journalismus?

Zeitunglesen hat mir immer Freude bereitet, Politik hat mich immer interessiert, zivilgesellschaftliche Fragen haben mich immer interessiert. Obgleich ich sagen muss: Ich war nur einmal als Aktivist auf der Straße. Das war 2001 beim Amerika-Gipfel im kanadischen Québec. Ich war auf der Seite der Globalisierungsgegner. Wir haben Fragen gestellt, weil wir sahen, wie die Großkonzerne ihre Macht konsolidieren konnten und ausbauen wollten. Da wurde ich innerhalb von zwei Tagen auf der Straße wirklich radikalisiert, weil ich selbst Polizeibrutalität erlebt habe, mit Tränengas, Wasserwerfern und so fort.

Das war Ihr Schlüsselerlebnis?

Ja, diese harten Auseinandersetzungen über die Globalisierung nach der Welthandelskonferenz 1999 in Seattle waren ein Einschnitt in meiner Erkenntnis und Positionierung. Da wurde mir klar, dass man eine Meinung haben sollte und sich dafür engagieren muss. Und das geht eben nicht ohne eine freie Presse, die aus verschiedenen Perspektiven Bericht erstattet. Was bedeutet Redefreiheit? Was bedeutet Versammlungsfreiheit? Das ist alles sehr zerbrechlich.

Erinnern Sie sich noch, welche Positionen Ihnen damals in der Berichterstattung rund um diese Globalisierungsthematik gefehlt haben?

Die Globalisierung wurde grundsätzlich gar nicht hinterfragt. Kollateralschäden wurden nur von NGOs benannt, die sich damit wirklich ernsthaft beschäftigt haben. Zum Beispiel, wie Konzerne im Namen des Freihandels ihre Macht missbraucht haben. Ich habe da zum ersten Mal erlebt, wie es ist, eine Position zu beziehen, die im Gegensatz zur aktuellen Regierung und den Darstellungen der Massenmedien steht.

Das gab den Anstoß, als Philanthrop, damals noch in den USA, unabhängige journalistische Projekte und Institutionen zu fördern?

Ja, so fing das an. Ich habe bald darauf die Journalistin Amy Goodman getroffen, die bekannt war durch ihre Sendung „Democracy Now“. Gemeinsam haben wir Bildungsprogramme für Journalisten gefördert. Ich habe die Gründer des Podcasts „Radio Ambulante“ unterstützt, der seit 2012 in den USA für die spanisch-sprachige Bevölkerung berichtet. Wesentlich für mich war aber meine Erfahrung mit der „Voice of San Diego“. An meinem damaligen Wohnort San Diego habe ich miterlebt, wie eine lokale Zeitung zerstört wurde durch den Verkauf an Investoren, die – so wie heute Elon Musk mit Twitter – das Medium für ihre Zwecke missbrauchten. Als es keine verlässliche Zeitung mehr gab, unterstützte ich 2005 die Gründung der „Voice of San Diego“, als politisches, digitales Lokalmedium. Inzwischen hat sich daraus eine große Bewegung von mehr als 100 gemeinnützig-finanzierten Lokalmedien in den gesamten USA entwickelt. 

In Deutschland fördern Sie seit zehn Jahren Correctiv, aber auch viele Organisationen, die Weiterbildung und Infrastruktur für Journalismus zur Verfügung stellen. Was ist ausschlaggebend für eine Förderung durch die Schöpflin Stiftung?

Tja, was kommt zuerst? Der Mensch, das Problem oder die Idee? Es fängt wohl mit dem Problem an. Wenn Sie etwas im Kopf haben, das Sie bewegt, ist es wie Osmose: Plötzlich läuft Ihnen jemand über den Weg, es öffnen sich Türen. Wo ich heute noch über Förderungen mitentscheide, greife ich auf Erfahrungen, auf Lehren aus Fehlern und vor allem meine Intuition zurück. Es geht nicht immer um die Überflieger. Aber um Begeisterung und Neugier. Wenn sich die mit Energie und einer gewissen Sturheit, einer Hartnäckigkeit mischt… Man muss das erfühlen, und dann riskiert man etwas, ohne Garantie. Solange Sie öfter als 50 Prozent richtig liegen, sind Sie erfolgreich.

Das gilt als Geschäftsmann und als Philantrop?

Für mich ist es dasselbe. Es gibt verantwortungsvolle Manager und Unternehmer – und es gibt verantwortungslose. Leider wird mehr über die verantwortungslosen gesprochen. Deshalb hat das Wirtschaftsleben so einen schlechten Ruf.

Spielt die politische Ausrichtung eines Medienprojekts eine Rolle, wenn Sie, beziehungsweise die Schöpflin Stiftung, über eine Förderung entscheiden?

Mir ist wichtig, dass Menschen sich über unterschiedliche Perspektiven informieren können. Die Stärke liegt in einer medialen Artenvielfalt. Sie ist ein hohes Gut. Es geht nicht um progressiv und konservativ, links oder rechts. Alle Seiten können sehr dogmatisch sein. Ich bin grundsätzlich gegen Dogmen. Und für Vielfalt.

Das spiegelt sich in den Investitionen der Stiftung in journalistische Strukturen.

Ja, mit unserer Förderung von Netzwerk Recherche unterstützen wir zum Beispiel das journalistische Handwerk mit dem Ziel einer gut recherchierten Berichterstattung. Da geht es nicht um eine bestimmte politische Linie oder Haltung. Der neue Media Forward Fund, den wir mitbegründet haben, fördert gezielt die Entwicklung tragfähiger Geschäftsmodelle für Medien, die eine Lücke schließen in der Berichterstattung, etwa im Lokalen. Es geht darum, allen Menschen verlässliche Informationen und eine Vielfalt an Sichtweisen zur Verfügung zu stellen. 

Wie stellen Sie als Förderer sicher, dass die Unabhängigkeit der Redaktionen und Journalist:innen, in die Sie investieren, gewahrt bleibt?

Indem wir überhaupt nicht den Versuch unternehmen, uns inhaltlich einzumischen. Das gibt es einfach nicht. Ich glaube an die Menschen, die ich unterstütze, und überlasse ihnen die volle Verantwortung. Wir können doch nicht sagen: „Auf dieses Thema solltet Ihr eine Recherche ansetzen.“ Wir können sagen: „Schaut mal, ist das vielleicht ein interessantes Thema?“ Und so beginnt dann ein Gespräch. Das ist aber noch keine Einflussnahme.

Zur Unterstützung des unabhängigen Mediensektors hat die Schöpflin Stiftung nun Publix auf den Weg gebracht. Was wünschen Sie sich für dieses Haus?

Dass sich der Journalismus voll entfalten kann und mit jeder Recherche besser wird. Und dass die redaktionelle Unabhängigkeit geschützt bleibt. Wir erleben immer wieder und immer häufiger, wie politische und wirtschaftliche Interessen in das Programm hineinregieren. Geld hat eben Einfluss.

Dazu muss man sagen, dass viele privatfinanzierte Qualitätsmedien über einen langen Zeitraum sehr funktionale Prinzipien hatten: Die Finanzierung und das Redaktionelle sollten strikt voneinander getrennt sein.

Bestimmt. Aber man sieht ja, dass aktuelle Sparzwänge diese Prinzipien aushöhlen. Wenn kaum noch Ressourcen da sind, wächst die Abhängigkeit gegenüber Werbekunden und Geldgebern. 

Sie geben ja auch Geld.

Ja, mit dem Unterschied, dass wir eine Finanzierung im Sinn haben, die diese Trennung von wirtschaftlichen und redaktionellen Überlegungen, von der Sie gesprochen haben, wieder ins Recht setzt. Wir wollen die Freiheit des Journalismus und der Meinungsvielfalt stärken. Durch philanthrophische Förderung ist vielleicht am ehesten gewährleistet, dass keine inhaltliche Einflussnahme stattfindet. Es liegt eigentlich in der DNA von Stiftungen, die Geförderten in ihrer Unabhängigkeit zu unterstützen. Das ist jedenfalls die bewährte Praxis der Schöpflin Stiftung.

In Deutschland investierten lange nur sehr wenige Stiftungen in den Journalismus. Im Media Forward Fund legen nun bereits elf Initiatoren ihr Geld zusammen. Was muss der nächste Schritt sein?

Unabhängiger Journalismus ist so grundlegend für den Bestand unserer Zivilgesellschaft, für unsere Demokratie. Das wäre mein Appell an die Stiftungslandschaft: Gebt Euch einen Ruck! Im Idealfall sagt jede Stiftung: Fünf bis zehn Prozent der Fördersumme sollen an journalistische Projekte gehen. In den letzten 200 Jahren haben wir uns die Demokratie erkämpft. Wir haben eine Kultur zu verteidigen! Es gab immer Höhen und Tiefen. Warum sollten wir jetzt schlapp machen?

 

Photo: ©Arno Dietsche

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