Kriegsberichterstattung: Noch Aussicht auf Wirkung?

Kriegsberichterstattung ist die mit Abstand gefährlichste Art, journalistisch zu arbeiten. Aber was kann sie eigentlich noch leisten? Die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten stellen den Journalismus angesichts von Social Media auf eine harte Probe.

Ronen Bergman/The New York Times/Redux/laif

Ein Gastbeitrag von Gabriele Riedle

Die Schriftstellerin und Reporterin Gabriele Riedle (*1958) berichtete für das Magazin „Geo“ unter anderem aus Libyen, Liberia, Afghanistan sowie dem Bürgerkrieg in Darfur und lehrte als Gastprofessorin an der University of Virginia in Charlottesville, USA, zur Geschichte der Kriegsberichterstattung. Ihr im Jahr 2022 in der Anderen Bibliothek erschienener Roman „In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg.“ über den Alltag von Reporterinnen und Reportern im Krieg war für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Genaue Zahlen kennt niemand, aber allein in der Ukraine müssen es Tausende aus aller Welt sein, und wer weiß, wie viele es in der Konfliktregion im Nahen Osten sind, die sich gerade irgendwie durchschlagen als Journalistinnen und Journalisten. Um zu schreiben, zu fotografieren, zu filmen und also von all dem zu berichten, was sie in diesen Kriegen sehen, hören und erfahren, und dabei setzt sich jeder und jede Einzelne von ihnen größter Gefahr aus.

Immer wieder gibt es gezielte Angriffe auf Berichterstattende, in der Ukraine waren es seit Beginn des russischen Feldzugs im Februar 2022 mehr als einhundert, wie Reporter ohne Grenzen melden. Israel lehnte es kürzlich ab, zuzusichern, dass Berichterstattende von Reuters und AFP nicht Ziel von Angriffen in Gaza werden würden – und tatsächlich stirbt dort zur Zeit täglich mindestens eine medienschaffende Person.

Dabei reicht es ja schon, bei Bombenanschlägen, Raketentreffern, Schusswechseln oder wie auch immer gearteten Unfällen in chaotischen Umständen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um das Leben zu verlieren. Nichts und niemand auf der Welt kann dann helfen, keine Chefredaktion vom geheizten Büro aus, kein Eintrag auf der Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts, kein Kommando der UN, keine Lebensversicherung mit Sonderkonditionen. Und auch die Helme und kugelsicheren Westen, mit denen Presseleute gelegentlich im Fernsehen erscheinen, haben meist vor allem symbolischen Wert. Kopf und Torso mögen sie vor Schussverletzungen, gegen Raketenbeschuss und Bombenexplosionen helfen sie jedoch nicht. Einmal abgesehen davon, dass etwa Israel die Einfuhr solcher Ausstattung im Moment nicht erlaubt, denn sie gilt als militärisches Material. Überdies würde niemand, der zum Beispiel die Lage der Zivilbevölkerung recherchiert, ihrerseits schutzlosen Leuten, die womöglich gerade alles verloren haben und weggelaufen sind nur mit dem, was sie am Leib haben, mit soldatischem Helm und Weste gegenübertreten wollen.

Die Motivationen derjenigen, die sich diesen unkalkulierbaren Gefahren dennoch immer wieder aussetzen, übrigens oft genug zusammen mit Übersetzerinnen und Übersetzern sowie Stringern, also einheimischen Kontaktpersonen, könnten unterschiedlicher kaum sein. Da sind die, die überzeugt sind, mit ihren Bildern und Berichten aufrütteln und dazu beitragen zu können, dass die Welt am Ende vielleicht doch etwas friedlicher wird. Oder jene, die sich, kaum dass sie wieder zu Hause sind, als Helden inszenieren, die als Kämpfer im Namen der Wahrheit in den Krieg gezogen sind. Und natürlich gibt es auch immer wieder unerfahrene Abenteurer, die sich und andere gefährden und dennoch Redaktionen finden, die verantwortungslos genug sind, ihnen ihre Geschichten abzukaufen.

Die meisten jedoch versuchen schlicht, zuverlässig und auf inzwischen geradezu altmodisch erscheinende Weise zu berichten, was immer ihnen möglich ist. Gerade weil sie wissen, dass sie längst fast auf verlorenem Posten sind.

Im Jahr 1972 veröffentlichte der vietnamesisch-amerikanische Fotograf Nick Ut ein Bild des “Napalm-Mädchens” Kim Phúc, das als Neunjährige nach einem Angriff der südvietnamesischen Streitkräfte verletzt, nackt und schreiend eine Dorfstraße hinablief. Er half auf diese Weise mit, ein weltweites Bewusstsein für das Grauen dieses Krieges zu schaffen – und die US-Unterstützung für Südvietnam im Jahr darauf zu beenden. Inzwischen jedoch ist die Wirkmacht der Bilder und Berichte von Journalistinnen und Journalisten wohl unwiederbringlich ausgehöhlt.

Was sind unabhängig recherchierte Fakten und Bilder gegen das Splatter-Material, das etwa die Hamas selbst von den Angriffen des 7. Oktober lieferte? Wie sollen journalistische Berichte durchdringen in einer Propagandaschlacht, die die verschiedenen Beteiligten mit riesigen Trupps von Profis und modernsten Mitteln führen? Was vermögen mühsam erarbeitete journalistische Rechercheergebnisse auszurichten gegen Abertausende von Posts in den sozialen Netzwerken, wo alle alles behaupten können und eine gemeinsame Realität und der Begriff einer objektiven Wahrheit längst verloren zu sein scheinen – selbst die Toten von Butcha werden ebenso wie von der Hamas massakrierte israelische Kinder kurzerhand zu Stunts von Schauspielern umdefiniert. Ganze, wenn auch sicher unvollständige Listen von Fehlinformationen zu beiden Konflikten gibt es übrigens auf einschlägigen Wikipedia-Seiten unter den Stichworten Disinformation in the Russian invasion of Ukraine beziehungsweise Disinformation in the 2023 Israel-Hamas war.

Das alles wäre ja schon schwierig genug. Aber dann stellt sich auch noch heraus, dass ein Kriegsherr wie Wladimir Putin noch lange nach Beginn der russischen Aggression in der Ukraine 2014 offenbar mindestens einen wichtigen westlichen Journalisten kaufen konnte, und sich unlängst ein freier Fotograf, der auch für CNN und die New York Times arbeitete, Wangenküsschen von einem Hamas-Führer geben ließ – oder was womöglich noch alles bekannt geworden sein wird nach Redaktionsschluss dieses Newsletters, denn inzwischen haben wir ja schon angefangen, ständig mit allem zu rechnen. Im täglich schwierigeren Kampf des Journalismus um Glaubwürdigkeit helfen solche Meldungen nicht gerade weiter.

Insgesamt ist das alles fast zum Verzweifeln. Und dennoch: Man kann ja nicht einfach aufgeben! Und muss weiter zumindest versuchen, auch unter den widrigsten Umständen das zu tun, was Journalismus tun muss: berichten.

Foto: © Ronen Bergman/The New York Times/Redux/laif

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