Gemeinsam gegen Desinformation
Im Wahlkampf haben Falschinformationen Hochkonjunktur. Deshalb will Correctiv die Gesellschaft gerade jetzt widerstandsfähig dagegen machen: mit einer neuen User-Plattform namens "Faktenforum".
Von Anna Süß und Caroline Lindekamp, Correctiv
Ein Bild, das einen erfundenen Skandal illustriert. Ein Chatbot, der politische Fragen falsch beantwortet. Eine Schlagzeile, die gezielt Emotionen schürt: Desinformation hat viele Gesichter – und sie bedroht demokratische Prozesse ebenso wie die gesellschaftliche Debattenkultur. Das Problem wird durch Technologie weiter angetrieben: KI-Tools zur automatisierten Text- und Bildgenerierung wie ChatGPT oder MidJourney erleichtern die Produktion von Falschinformationen. Da können innerhalb von Sekunden täuschend echte Texte, Bilder oder Videos entstehen, die Falschbehauptungen ein überzeugendes Gewand geben.
Empfehlungsalgorithmen auf Social-Media-Plattformen verschaffen den oft emotionalen und polarisierenden Inhalten millionenfache Reichweite. Und in einer Zeit der internationalen Krisen fallen sie auf fruchtbaren Boden. Nicht ohne Grund war zuletzt jeder Urnengang begleitet von Sorgen um die Folgen von Desinformation. Im Superwahljahr 2024 ließ sich in mehr als 60 Ländern weltweit beobachten, wie leicht wichtige gesellschaftliche Themen zum Gegenstand manipulativer Informationskampagnen werden können. Diese Erfahrungen sind auch eine Warnung für die vorgezogene Bundestagswahl.
Doch das Jahr 2024 begann auch mit einem beeindruckenden Engagement für die Demokratie: Schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen sind in Deutschland gegen demokratiefeindliche Tendenzen auf die Straße gegangen. Schnell kam die Frage auf, wie man dieses Momentum in ein nachhaltiges Engagement verwandeln kann.Hier setzt Correctiv mit seinem Faktenforum an, Deutschlands erster Faktencheck-Community.
Die Mitglieder lernen in Workshops, wie man Falschbehauptungen erkennt und einordnet. Und dann wird dieses Wissen gleich praktisch angewendet. Der Meeresspiegel steigt gar nicht an? – Falsch. Das iPhone macht Nutzer:innen automatisch zu Organspenderinnen? – Irreführend. Die Türkei tritt aus der Nato aus? – Auch falsch. Das sind Beispiele für Community-Faktenchecks aus dem Faktenforum. Hier lernen die Mitglieder nicht nur, mit Falschbehauptungen umzugehen. Das Projekt gibt ihnen auch einen Handlungsspielraum, sie aktiv einzudämmen.
Als eigenständige Bürger:innenredaktion bekommt die Community ein Zuhause auf der Faktenforum-Plattform. Alle können mitmachen, solange sie sich an die Community-Spielregeln halten und sorgfältig recherchieren wollen. Der geschlossene User-Bereich ist ein geschützter Raum zum Austausch und gemeinsamen Faktenchecken. Das Faktenforum-Team von Correctiv leitet die Community an, prüft die Ergebnisse und vermittelt Verifizierungsprozesse, wie sie in professionellen Redaktionen ablaufen. So wird zugleich das Verständnis für die Standards journalistischer Arbeit gestärkt.
Während sich im gesellschaftspolitischen Diskurs immer neue ideologische Gräben und unüberbrückbare Differenzen zeigen, erfährt die Faktenforum-Community in der Praxis: Eigene Überzeugungen haben beim Faktenchecken keinen Raum. Hier geht es darum, mindestens zwei verlässliche Quellen zu finden, die eine Behauptung entweder stützen oder widerlegen.
Jeder User entscheidet selbst, wie er sich einbringen möchte. Einer meldet verdächtige Behauptungen, eine andere recherchiert Quellen, jemand Drittes überprüft Bildmaterial. So kann die Bürger:innenredaktion Menschen mit verschiedenen Interessen, Kenntnissen und Kapazitäten integrieren. Die Community diskutiert in Themenforen und teilt die gesammelten Fakten in ihren eigenen Netzwerken. Über die Plattform können alle Mitglieder deutschlandweit und dezentral zusammenarbeiten. Außerdem baut das Faktenforum eine strukturierte Datenbank auf, die offenlegt, wie sich Desinformation wandelt und weiter entwickelt. Aus Mechanismen lassen sich so Muster erkennen, die neue Gegenmaßnahmen ermöglichen.
Ansätze zur Bekämpfung von Falschinformation gibt es viele: Regulierungsvorhaben, Faktenchecks, Medienkompetenzschulungen und technische Erkennungstools haben eine gewisse Wirksamkeit bewiesen. Dennoch greifen solche Maßnahmen oft nur punktuell. Um Unwahrheiten nachhaltig zu bekämpfen, müssen Technologie, Bildung und Vernetzung ineinander greifen. Das Faktenforum vereint diese Ansätze mit dem Ziel, eine mündige Öffentlichkeit als Kern der Demokratie zu stärken.