Gastbeitrag: Von den USA lernen

Ausgerechnet Donald Trump konnte Migrant:innen für sich gewinnen, die seine demokratischen Gegner aus den Augen verloren hatten. Jetzt, vor den Neuwahlen in Deutschland, müssen politische Akteure unbedingt gesellschaftlichen Zusammenhalt und institutionelles Vertrauen stärken.

Von Laura-Kristine Krause

Laura-Kristine Krause ist Gründungsgeschäftsführerin von More in Common Deutschland, einer der Organisationen im Berliner Publix-Haus. Als World Fellow an der Yale University erforscht sie gerade den gesellschaftlichen Zusammenhang in den USA.

Es gibt in Wahlkämpfen ungeschriebene Regeln, was zum Erfolg führt und was einer Kampagne schadet. Verbale Entgleisungen gegenüber Frauen und Migrant:innen, private Skandale und gerichtliche Verurteilungen des Kandidaten sind in der Regel Gift für den Wahlerfolg. Für Donald Trump scheinen diese Regeln nicht zu gelten. Nach einem langen, wendungsreichen, milliardenteuren Wahlkampf wurde er am 5. November 2024 erneut zum US-Präsidenten gewählt. Es war, anders als alle Umfragen zuvor vermuten ließen, nicht einmal knapp.

Seine Anhänger verehren Trump inzwischen fast kultisch. Doch dieser Wahlerfolg hängt nicht allein an seiner Person. Seit August konnte ich den Wahlkampf direkt in den USA verfolgen. Die gesellschaftlichen Dynamiken, die sich hier zeigen und die den Erfolg des Modells Trump befeuert haben, wirken auch in anderen westlichen Demokratien. Sie begegnen mir ständig in unserer Arbeit bei More in Common, und sie entscheiden auch in Deutschland darüber mit, ob antidemokratische Populisten hier wichtige Wahlerfolge erzielen. Wir alle tun deshalb gut daran, besorgt und ohne Hochmut in die USA zu schauen. 

Bei More in Common untersuchen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wer gut eingebunden ist, wer unsichtbar bleibt und wie diese Menschen erreicht werden. Dafür ist es wichtig, das Tempo gesellschaftlichen Wandels und die sich verändernden Wünsche verschiedener sozialer Gruppen im Blick zu behalten. Auch in den USA brachten neue oder zugespitzte gesellschaftliche Konflikte die vermeintlichen Gewissheiten über Wählergruppen ins Wanken. Die Nachkommen von Einwander:innen zählten zum Beispiel bisher zur Kernwählerschaft der US-Demokrat:innen. Männliche Latinos stimmten aber bei dieser Wahl mehrheitlich für Trump, obwohl er sich herablassend und diskriminierend über sie geäußert hatte. Wie auch über arabische und muslimische Menschen, deren Wahlentscheidung zudem durch den Nahost-Konflikt beeinflusst war. Doch Trumps Kampagne wandte sich mit gezielten Botschaften an genau diese Wählergruppen. Der amerikanischen Arbeiterklasse galt Joe Biden noch vor vier Jahren – inmitten der Corona-Pandemie – als Garant einer besseren Zukunft. Jetzt konnte Donald Trump die herrschende Inflation für sich nutzen und die Stimmen der Arbeiterklasse mit ähnlichem Abstand wie sein Vorgänger gewinnen.

Die deutschen Parteien müssen aufpassen, dass sie nicht bloß die schrumpfende Gruppe von Mitgliedern und Stammwähler:innen adressieren. Sie müssen strategisch neue Wählergruppen erschließen. Das sollte auch Menschen mit Migrationshintergrund umfassen, ohne sie, wie in den USA, als einheitliche Wählergruppe zu behandeln. Die einzige Partei, die dies zumindest in den sozialen Medien systematisch umsetzt, ist die AfD. Sie sprach zur Europawahl auf TikTok junge Deutsch-Türk:innen mit türkischsprachigem Content direkt an. 

Trumps Wahlkampf nährte im Wesentlichen zwei Elemente: Unzufriedenheit mit der Gegenwart und das Drängen auf Veränderung. Er griff die emotionale Verfassung seiner Basis auf und machte den Menschen Versprechen für die Zukunft. Sogar als gealterter Ex-Präsident gelang es ihm, sich als der Wandel zu positionieren, den sich die Amerikaner so eindeutig wünschen. Seine Kontrahentin Kamala Harris verkörperte hingegen den Status Quo, auch weil sie sich nicht ausreichend vom Amtsinhaber Joe Biden abgegrenzt hatte. In Deutschland verfolgen AfD und BSW eine ähnliche Strategie, wenn sie sich als einzige Alternative zu den vermeintlich gleichförmigen etablierten Parteien darstellen, obwohl das deutsche Parteienspektrum inhaltlich breit gefächert ist. 

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist auf zwei Vertrauensebenen angewiesen: das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und das Vertrauen der Menschen untereinander. Ist Vertrauen erst einmal angegriffen, lässt es sich nur sehr schwer reparieren. Noch 2016 gaben führende Republikaner nur mit „zugehaltener Nase“ Trump ihre Stimme. Sie nahmen seine verurteilenswerten Methoden für die Popularität der Partei in Kauf. Und sie widersprachen seinen Lügen über seine Wahlniederlage 2020 nicht. Vier Jahre später ist ein Drittel der Amerikaner davon überzeugt, dass die Wahl 2020 manipuliert wurde und Joe Biden nicht legitim gewählt wurde, eine perverse Umkehr der Sorge um die Demokratie. Der Trumpismus hat gewonnen und moderate Republikaner sind politisch heimatlos geworden. Die Losung „Party before country“ – zuerst die Partei, dann das Land – hat ihnen nichts gebracht. Auch wenn es idealistisch daherkommt: Politische Akteure in Deutschland sollten unbedingt davor zurückschrecken, im Tausch gegen kurzfristige parteitaktische Vorteile das Vertrauen in demokratische Institutionen zu schwächen. 

Die Erosion des Vertrauens unter den Menschen bleibt mir von dieser US-Wahl am stärksten in Erinnerung. Ich habe die amerikanische Gesellschaft nicht nur als gespalten, sondern als oft sprachlos empfunden. Die Leute haben keine Wahlkampfschilder aufgestellt, weil sie das Gespräch mit den Nachbar:innen scheuen. Familien, Kolleg:innen, Freunde besprechen keine politischen Themen mehr. Das trennt nicht nur Lebenswelten, sondern verhindert auch, dass man „die anderen“ zu allererst als Menschen wahrnimmt. Ähnliches droht in Deutschland, wenn es nicht gelingt, Begegnungen über soziale Trennlinien hinweg zu organisieren, gesellschaftliche Sichtbarkeit zu fördern und gemeinsame Informationsräume zu sichern. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen (zum Beispiel durch eine robuste Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, anders als aktuell von den Ländern geplant) und selbst Vorbild sein: Wer den politischen Gegner entmenschlicht, wie es sich teilweise in der scharfen Rhetorik gegenüber den Grünen zeigt, schwächt selbst die demokratische Kultur. 

Jüngste Wahlergebnisse zeigen: Wir sind in Deutschland nicht gefeit vor Erfolgen autoritärer Kräfte. Die vorgezogenen Bundestagswahlen 2025 geben uns die Möglichkeit zu zeigen, dass wir aus den Fehlern der USA gelernt haben.

Fotocredit: Carolin Weinkopf

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