Fragen an die Publix-Residents: "Tactical Tech”
In jeder Newsletter-Ausgabe stellen wir Menschen vor, die im Publix-Haus ihr Büro beziehen.
Diesmal: Tactical Tech.
Worin besteht der Kern eurer Arbeit?
Tactical Tech ist eine internationale Non-Profit-Organisation mit Sitz in Berlin, die sich seit 21 Jahren für digitale Themen einsetzt. Wir helfen Einzelpersonen und Gruppen zu verstehen, wie digitale Technologien ihr Leben und die Gesellschaft verändern.
Kurz gesagt, wir beschäftigen uns mit Fragen wie: Welche Machtstrukturen stecken hinter den Technologien, die wir nutzen? Wie wirken sich diese Technologien auf die Meinungsbildung und demokratische Prozesse aus oder beeinflussen, wie Gesellschaften auf Krisen reagieren? Wir arbeiten mit einem Netzwerk von Partnern zusammen, um für diese Themen ein Verständnis zu schaffen, Wissen darüber aufzubauen und eine kritische Auseinandersetzung damit zu fördern.
Wie macht ihr das?
Wir arbeiten mit dem „Tactical Tech Studio", das sich auf digitale Medienkompetenz konzentriert, und dem „Tactical Tech Institute for Digital Investigation". Im Studio entwickeln wir kreative, pädagogische Programme, die das kritische Denken über Technologie und deren gesellschaftspolitische Auswirkungen stärken. Die Maßnahmen werden dann von lokalen Organisationen und deren Community angepasst und genutzt.
Im „Tactical Tech Institute for Digital Investigation“ untermauern wir diese Idee mit Studien und Wissensvermittlung. Wir bauen Netzwerke auf und fördern Expertise bei NGOs, Journalist:innen und Forscher:innen, die sich mit dem Zusammenspiel von Technologie, Macht und Krisen befassen.
Was ist das Ziel eures Engagements?
Wir wollen es Einzelpersonen und Gruppen ermöglichen, unsere kollektive soziale, politische und ökologische Zukunft im Kontext der digitalen Transformation zu steuern und zu gestalten.
Was bereitet euch Kopfschmerzen?
Die zunehmende Abhängigkeit von unerprobten und problematischen Digitaltechnologien, die mangelnde Rechenschaftspflicht des Technologiesektors, die mangelnde Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger:innen, sich mit diesen Problemen zu befassen, und die Zunahme böswilliger Akteur:innen, die digitale Schwachstellen ausnutzen – all das verschärft gesellschaftliche Polarisierung, Verwirrung und den Kampf um Aufmerksamkeit.
Was war euer größter Erfolg der vergangenen Monate?
Im Jahr 2023 feierte Tactical Tech sein 20-jähriges Bestehen und hat inzwischen mehr als 30 Millionen Menschen in über 90 Ländern erreicht. Wir haben ein Netzwerk von mehr als 150 globalen Partnern aufgebaut und unsere Ressourcen in 45 Sprachen zur Verfügung gestellt. Unser Geschäftsführer Marek Tuszynski wurde im Rahmen der „Rise 25 Awards“ von Mozilla als einer von 25 weltweit führenden Köpfen ausgezeichnet, die die Zukunft des Internets gestalten. Und wir haben "Everywhere, All the Time“ gestartet, ein Programm zur Förderung der Digitalkompetenz von Jugendlichen im Bereich der künstlichen Intelligenz.
Wer oder was hat unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdient?
Es gibt zwei Hauptprobleme, die mehr Aufmerksamkeit erfordern. Junge Menschen sind abhängig von digitaler Technologie und geraten zwischen die Fronten: Auf der einen Seite stehen Entwickler:innen, Plattformeigner:innen und Wortführer:innen, die aufmerksamkeitsbasierte Geschäftsmodelle ausnutzen und persönliche Daten zu Geld machen. Auf der anderen Seite stehen Eltern und Pädagog:innen, denen oft ein klares Verständnis dafür fehlt, wie sich digitale Technologien auf Jugendliche auswirken.
Außerdem ist es wichtig, den digitalen Wandel und den grünen Wandel miteinander zu verbinden. Digitale Technologien spielen eine bedeutende Rolle dabei, wie die Gesellschaft, die politischen Entscheidungsträger:innen und die Unternehmen das Ausmaß dieser Krise wahrnehmen und wie sie Lösungen entwickeln und umsetzen.
Was ist die beste Lektüre zur aktuellen Lage? Was sollte man jetzt anhören oder ansehen?
Unser monatlicher Newsletter "In the Loop“ enthält eine kuratierte Sammlung von Ressourcen, Lesestoff und Tools zu Digitalkompetenz, Digitalem Einfluss und den zahlreichen Möglichkeiten, wie Technologie die Gesellschaft verändert. Wir empfehlen auch zwei Lektüren: "There Is Plastic in the Clouds" von unserem Geschäftsführer Marek Tuszynski, der die Rolle und die Grenzen von Technologie in gesellschaftlichen Krisen untersucht. Außerdem den Bericht "Digital Reset: Redirecting Technologies for Deep Sustainability Transformation", unter anderem verfasst von unserer Mitbegründerin Stephanie Hankey.
Was wünscht ihr euch für die Publix-Initiative?
Publix bietet eine tolle Gelegenheit zur Zusammenarbeit, zur Inspiration und zum Wissensaustausch. Wir wollen diese kollektive Kraft nutzen, um kritische Diskussionen über die Auswirkungen der Technologie auf die Gesellschaft und die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen in dieser Debatte anzustoßen. Im Idealfall entstehen so neue Initiativen, die alle Netzwerke unter diesem Dach nutzen. Wir möchten den Einfluss von Publix stärken, ein breites Verständnis für Technologiepolitik fördern und der Öffentlichkeit die Anliegen der Publix-Residents näherbringen.
Photo: ©Wael Eskandar