„Es gibt für dieses Haus kein Vorbild“

Ein offener Schutzraum für die gemeinschaftliche Arbeit an der Demokratie: Im Gespräch mit der Publix-Intendantin Maria Exner stellt die Architektin Ulrike Dix die Ideen und den Entstehungsprozess des Gebäudes vor. Und sie verrät, was dieser Bau mit ihrer Liebe zum Fußball zu tun hat.

Ulrike, du warst als Partnerin von AFF Architekten mit an der Planung und Bau der zwei neuen Gebäude an der Hermannstraße beteiligt: die Spore Initiative, die schon im April 2023 eröffnet hat, und das Journalismus-Haus Publix, das im September eröffnen wird. Beide Häuser laden die Öffentlichkeit ein, Veranstaltungen zu besuchen, einen Kaffee zu trinken oder einfach im Garten zu sitzen. Welche öffentlichen Orte besuchst du selbst eigentlich gern?

Um ehrlich zu sein: Meine öffentlichen Lieblingsorte sind Fußballstadien. Auch wenn ich da Eintritt zahlen oder Mitglied werden muss, das alles so kommerziell, so reglementiert und dadurch so gar nicht öffentlich erscheint. Aber ich liebe das Gemeinschaftsgefühl, das Mitfiebern, auch dem Gegner Respekt zu zollen, die Interaktion, die in einem Stadion passiert. Das finde ich Wahnsinn – das ist für mich Öffentlichkeit.

Von einer Architektin hätte ich jetzt eher den Namen eines Museums erwartet. (lacht) Wie verstärkt ein Stadion denn räumlich diese Gemeinschaftserlebnisse?

Ich glaube, jedes Museum würde gern von sich sagen können, die ganze Breite der Gesellschaft anzusprechen. Aber Fußball schafft genau das. Mich fasziniert die Vielfalt von Menschen, die da zusammenkommen. Mir gefällt die Dynamik dieses Spiels, ich liebe den Sport, die Mannschaften. Mich stört es auch nicht, wenn jemand leidenschaftlich aggressiv reagiert. Meine Söhne finden mich deswegen manchmal peinlich und sagen „Mama, jetzt lass‘ mal.“ Aber ich scheue nicht die Auseinandersetzung  mit den Anderen auf der Tribüne! Sonntags schaue ich mir die 1. Herrenspiele der Vereine an, in denen meine Söhne spielen. Ich treffe da Freunde, feuere die Mannschaft an und dann gehe ich wieder – manchmal ins Büro, manchmal nach Hause, um Wäsche zu machen. Man kann sich darüber wundern, aber für mich ist das Entspannung.

Als Architektin hast du im Alltag wahrscheinlich hauptsächlich mit Ansprechpartner:innen zu tun, die eher nicht sonntags zu Ligaspielen gehen. 

Unsere Aufgabe ist es, Gebäude für Menschen zu entwickeln. In unseren Branchen – das wird dir im Journalismus ja ähnlich gehen – ist man mitunter in einer bildungsaffinen und ja, auch elitären Schicht unterwegs. Das ist aber kontraproduktiv. Das Schöne in unserem Beruf ist: Wir müssen zum einen mit Auftraggebern reden, mit Ämtern, mit Bildungsinstitutionen. Aber ich muss auch mit dem Handwerker konstruktiv über das sprechen können, was wir zusammen schaffen wollen. 

Um welche Art von Aufträgen bemüht sich AFF Architekten besonders? Wann ist ein Bau für euch ein „AFF-Projekt“?

Uns interessiert vor allem: Was ist das für ein Ort? Was hat dieses Gebäude, um das es geht – es zu erweitern, es aufzustocken, es umzunutzen? Bauen im Bestand, also sich baulich an etwas Bestehendem zu orientieren, ist eine unserer Expertisen. Wir haben etwa das Schloss Freudenstein in Freiberg in Sachsen komplett umgebaut und ergänzt oder den Kornversuchsspeicher hier in Berlin. Ein anderes Steckenpferd von uns ist der Schulbau, wenngleich man da viele Regularien erfüllen muss aber eben auf seine Weise eine sehr spannende Aufgabe. Über die beiden Aufgaben, die wir zuletzt an der Hermannstraße hatten, sagen wir immer: Das ist wie der ganz große Steinpilz, den du einmal im Leben im Wald findest. Eine besondere Herausforderung. 

Worin genau bestand die?

Diese Gebäude haben kein Vorbild. Das ist bei Spore genauso der Fall wie bei Publix. Es geht um ein Raumprogramm, das man typologisch gar nicht fassen kann. Spore ist ein Kulturort, ein Vermittlungsort, der auch ausstellt, aber eben kein Museum. Und Publix ist eben kein Bürogebäude. Die Vielfalt des Nutzungsanspruches, der Programmatik, die ist einzigartig. 

Wie würdest du Publix jemandem beschreiben, der das Gebäude nicht sehen kann?

Das Haus sieht ein bisschen so aus, als ob ein Kind im Sandkasten ein Förmchen füllt und umstülpt. Wie der Abdruck, der dabei entsteht, so sitzt das Haus hier auch. Die Fassade – ein rau geschalter, rötlich gefärbter Beton – bringt eine gewisse Porosität mit und wirkt zugleich wie aus einem Guss. Dieser monolithische Charakter, der ist ganz markant. Die Fassade zieht sich gefühlt ins Erdgeschoss hinein. Wenn ich vor dem Haus stehe, kann ich durch die Verglasung gucken, ich sehe das Forum, ich sehe die Innenwelt und dahinter das Grün draußen. Das ist bei der Nachbarin Spore genauso, beide Häuser senden das Signal: Wir sind offen für die Gemeinschaft, wir sind offen für die Nachbarschaft. Wenngleich Publix ja auch in gewisser Weise etwas beschützt. Es ist diese hybride Situation, die das Haus besonders macht. 

Das Haus soll als Arbeitsort funktionieren für Menschen, die ständig wechseln zwischen konzentrierter Einzelarbeit und Besprechungen im Team, zwischen Meetings und Videocalls, zwischen Aufzeichnungen von Podcasts und Veranstaltungen mit externen Gästen. Wie habt ihr euch dem Auftrag genähert, ein Haus für Journalismus und Öffentlichkeit zu entwickeln – unter der besonderen Bedingung, dass die Auftraggeberin eine Stiftung ist und kein Immobilienentwickler, der sein Geld in den nächsten 10 bis 15 Jahren wieder einspielen will?

Wir haben versucht, einen möglichst großen, qualifizierten Arbeitsraum anbieten zu können, um möglichst viele Organisationen und Personen zu unterstützen. Das ist vor allem dadurch gelungen, dass wir nur ein zentrales Treppenhaus im Gebäude haben und so eine maximale Erschließung der Etagen möglich war. Eine weitere Maßgabe war, die gemeinschaftlichen Flächen zu maximieren. Also hat nicht jede Organisation ihre eigene Teeküche, nicht jeder Nutzer hat eigene WCs, das wird alles geteilt. Für die oberen Etagen haben wir einen Katalog von Räumlichkeiten entwickelt für unterschiedliche Größen von Teams – im Open Space ist Platz für Einzelpersonen, es gibt Räume für drei bis vier Personen, bis zur Möglichkeit, eine ganze Etage zu nutzen. Das sind abgegrenzte Einheiten, aber wir können diese Module auch umbauen, zusammenschalten. Publix soll ja ein Ort sein, wo eine Organisation wachsen kann, und ich glaube, das schafft das Haus. 

Welchen Einfluss hatte der Austausch mit der Schöpflin Stiftung und den künftigen Nutzer:innen auf die Gestaltung?

Wir haben in einem sehr kollaborativen Prozess über mehrere Workshops hinweg die Struktur der Räume entwickelt. Wie kann man den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit im Haus räumlich abbilden? Wie schaffen wir gute Arbeitssituationen? Wir wollten, dass das Erdgeschoss funktioniert wie ein großer Marktplatz. Also haben wir das Bild des Forums entwickelt und verschiedene Orte auf dieser Ebene geschaffen, die anregend wirken sollen. Wir wollten den Journalisten Minibühnen geben, auf denen sie Formate entwickeln und umsetzen können. 

Diese Möglichkeit, Räume anzupassen, und das öffentliche Erdgeschoss mit der Publix Kantine, den Veranstaltungsräumen und einem Garten, unterscheiden Publix völlig von anderen Büro- und vor allem Redaktionshäusern. Die haben selten einen Ort für die Öffentlichkeit – und viele müssten komplett umgebaut werden, um eine zeitgemäße Art der redaktionellen Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Wir haben viel diskutiert, was Publix alles nicht sein sollte. Auf jeden Fall kein Bürogebäude. Es sollte auch nicht aussehen wie ein Wohnzimmer, wie das bei vielen Coworking-Spaces der Fall ist. Es müssen Arbeitsräume sein, die anregen. Wir haben versucht, uns hineinzuversetzen: Wenn wir Journalisten wären, in welcher Art von Raum würden wir arbeiten wollen, um diesem Spürsinn, dieser kritischen Haltung nachzugehen? Hey, das müssen Werkstatträume sein, journalistische Werkstätten! Wir wollten den derben Charakter, den das Haus nach außen zeigt, auch nach innen transportieren. 

In dieser Werkstattidee steckt eure Wertschätzung, aber auch die der Schöpflin Stiftung für die Arbeit von Journalist:innen: Wo Journalismus entsteht, werden für die Gesellschaft wichtige Leistungen erbracht. Ihr formuliert mit dem Haus den hohen Stellenwert von Journalismus und zivilgesellschaftliche Arbeit in einer Demokratie. 

Ganz klar, das Publix Haus ist ein Ort für Leute, deren Arbeit in heutigen Zeiten immer wichtiger wird. Und es werden immer weniger. Die gilt es zu schützen. Das braucht ein Haus, das super selbstbewusst daherkommt und auf den ersten Blick eben nicht aussieht wie ein neuer Bürobau. Das muss auch etwas Befremdliches haben. Das Haus soll eine Widerspenstigkeit, eine Widerstandsfähigkeit signalisieren.

Hat sich ins Erdgeschoss auch deine Fußballliebe eingeschlichen? Die große Holztreppe, die in die erste Etage führt, sieht doch aus wie eine Tribüne.

Wir brauchten eine offene Geste zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Obergeschoss. Ganz praktisch musste das eine Treppe sein. Aber um diese Tribünentreppe fließt die ganze Forumsfläche herum, es ist ein verbindender Ort. Und klar, da kann man zurückkommen zum Fußball: Megawichtig im Sport ist nicht nur die Mannschaft, sondern auch das Publikum, das zuschaut und anfeuert. Und genau das ermöglicht die Treppe. Du kannst sie nutzen, um zu arbeiten oder mit anderen ins Gespräch zu kommen. Bei einer Veranstaltung wiederum sitzen die Gäste auf dem Forum und die Treppe wird zur Vortragsbühne. 

Publix ist ein Betongebäude, die Herstellung von Beton allein ist für etwa acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wieso habt ihr euch als Architekt:innen trotzdem dafür entschieden?

Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt. Die Entscheidung für eine bestimmte Architektur darf aber nicht einseitig sein, sondern muss auch die Qualität eines Gebäudes berücksichtigen. Es war ein intensiver Abwägungsprozess während der Planung. Unser Ziel lautete, maximal viel Fläche zu generieren für die Programmatik. Abgesehen vom Material ist das Publix Haus nachhaltig, weil wir mit dieser Konstruktionsart noch ein zusätzliches Geschoss integrieren konnten. Den hohen CO2-Fußabdruck können wir nicht wegargumentieren. Aber die Absicht, ein robustes, widerstandsfähiges und zukunfstfähiges Haus zu gestalten, das möglichst viel Fläche bietet, stand für uns im Vordergrund. Mal ganz abgesehen davon, hätten wir in dem Kostenrahmen und mit den baulichen Vorschriften das Gebäude in einer alternativen Konstruktion wie zum Beispiel Holz nicht umsetzen können.

Wofür soll das Haus für Journalismus und Öffentlichkeit in zehn Jahren bekannt sein?

Das Gebäude ist sehr wenig modisch, in gewisser Weise fast zeitlos. Eine gewisse Patina ist schon jetzt eingebaut. Ich würde mir wünschen, dass diese Ausstrahlung des „in sich seins“, etwas Besonderes für sich selbst zu sein, erhalten bleibt. 

Ein Monolith für die schützenswerte Arbeit an der Demokratie.

Wir bei AFF befürworten das gemeinschaftliche Arbeiten in einem Raum. Das Gegenteil von Leuten im Homeoffice und leeren Büros. Uns ist wichtig, die Leute zusammen zu bringen, für den Spirit, das Bonding, auch um die gemeinschaftliche Arbeit weiterzutreiben. Wir hoffen, dass Publix als Arbeitsort so ein Anziehungspunkt wird. Dass man hier im Haus arbeiten will, zum einen wegen der Architektur, aber vor allem, weil es aus der Programmatik heraus sinnfällig und attraktiv ist, herzukommen. Es soll ein Zukunftsmodell sein.


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Photo: ©Tjark Spille

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