Haus für Journalismus und Öffentlichkeit

Auch die deutsche Pressefreiheit ist fragil

Das Informationsfreiheitsgesetz ist grundlegend für journalistische Aufklärung in Deutschland. Die Koalitionäre von CDU und CSU wollten es gerade abschaffen. Ein breiter öffentlicher Widerstand konnte das verhindern.

Ein Gastbeitrag von Daniel Drepper, Vorsitzender des Netzwerk Recherche

„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit andere nicht die Freiheit haben, alles zu tun.“ Dieser Satz wird dem amerikanischen Kolumnisten Stewart Alsop zugeschrieben. Und er bringt gut auf den Punkt, was für mich der Kern des Journalismus ist. Doch Pressefreiheit ist nicht nur die Freiheit, über Dinge möglichst breit und tief zu berichten, sondern auch die Freiheit, sich aus möglichst vielen Quellen zu informieren. Und deshalb bin ich froh, dass in den vergangenen Wochen fast eine halbe Million Menschen für diese Pressefreiheit aufgestanden sind – und zahlreiche Medien über unseren Einsatz für das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) berichtet haben.

Als die Plattform „Frag den Staat“ Ende März erste Papiere aus den Koalitionsverhandlungen öffentlich machte, war der Aufschrei laut: Eine Arbeitsgruppe unter Führung des CDU-Politikers Philipp Amthor hatte den folgenden Satz notiert: „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir hingegen abschaffen.“ Das klang danach, als wollten CDU und CSU – sie hatten diesen Satz eingebracht – ein zentrales Gesetz für Transparenz, Bürgerbeteiligung und kritischen Journalismus beerdigen. Dabei ist das 2006 eingeführte IFG fundamental wichtig, auch für den Journalismus.

Das Gesetz regelt den grundsätzlichen Anspruch aller Bürger:innen auf den Zugang zu behördlichen Dokumenten. Es sticht das Amtsgeheimnis. So können theoretisch alle Bürger:innen Informationen aus ihren Gemeinden, von Landes- und Bundesbehörden erhalten. Warum ist die Renovierung der Turnhalle so teuer geworden? Wann wurde die marode Brücke auf der Bundesstraße zum letzten Mal geprüft und wie war das Ergebnis? Wie sauber ist der See im Nachbarkreis wirklich und wie hygienisch die Mensa meiner Uni?

Das IFG ist auch für Journalist:innen ein Weg, an Behördendokumente zu kommen, ohne Menschen überreden zu müssen, gegen Regeln zu verstoßen. Neben Gesprächen mit potentiellen Quellen, neben offenen Informationen aus dem Internet oder aus Datenbanken, neben dem presserechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden ist das IFG deshalb ein wichtiges, viertes Werkzeug im Handwerkskasten des Journalismus, gerade für die investigative Recherche. Es hilft besonders dann, wenn man noch neu im Beruf ist und noch nicht so viele Kontakte hat. Oder wenn man bestimmte Dinge schwarz auf weiß belegen möchte. Denn Dokumente, die nach dem IFG öffentlich werden, zeigen manchmal sehr interessante Zusammenhänge, die wir als Journalist:innen sonst vielleicht nicht herausgefunden hätten.

Zwei Beispiele aus meinem Arbeitsalltag:

Ende 2020, als das erste Jahr der Pandemie zu Ende ging, verschaffte das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn den deutschen Apotheken einen ordentlichen Zusatzgewinn. Die Apotheker:innen gaben FFP2-Masken an die Bevölkerung ab und bekamen sechs Euro pro Maske erstattet – dabei bezahlten sie im Einkauf nur etwa 1,50 Euro. Meine Kolleg:innen bei NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wollten die Entscheidungen im Bundesgesundheitsministerium nachvollziehen. Dank eines IFG-Antrags erhielten sie zahlreiche Dokumente. Und konnten zeigen: Die Fachabteilungen im Ministerium stemmten sich gegen diese Geldverschwendung, aber Minister Jens Spahn persönlich drückte sie durch. Der Schaden: mehrere hundert Millionen Euro Steuergeld.

Anfang dieses Jahres veröffentlichte ich mit NDR/WDR/SZ-Kolleg:innen eine Lobby-Recherche über Beschränkungspläne für die sehr nützlichen, aber für Umwelt und Gesundheit potentiell sehr gefährlichen, sogenannten PFAS-Chemikalien. Im Rahmen der internationalen Recherche stellte das Team mehr als 180 IFG-Anfragen. Eine dieser Anfragen beim deutschen Wirtschaftsministerium legte Unterlagen zu einem Termin des Ministeriums mit der deutschen Industrie offen. Aus den Unterlagen geht hervor, dass das damalige Habeck-Ministerium falschen Argumenten der Industrie aufgesessen war und deshalb für eine Schwächung des Gesundheits- und Umweltschutzes eintrat, obwohl diese Schwächung Expert:innen zufolge sehr problematisch sein könnte.

Das IFG gibt es in Deutschland seit bald 20 Jahren, inzwischen auch in 14 Bundesländern. Es ist ein im internationalen Vergleich eher schwaches Transparenzgesetz. Es gibt relativ viele Ausnahmen, sodass Dokumente gar nicht oder nur geschwärzt herausgegeben werden. Und es ist schwer, gegen eine Behörde zu klagen, wenn diese die Herausgabe von Dokumenten verweigert. Deshalb haben wir vom Netzwerk Recherche, dem Verein investigativer Journalist:innen in Deutschland, gemeinsam mit anderen Organisationen wie Transparency International und Mehr Demokratie vor zweieinhalb Jahren einen Entwurf für ein starkes Transparenzgesetz vorgelegt. Wir wollen, dass Informationen von Behörden proaktiv veröffentlicht werden und weniger Ausnahmen gelten.

Stattdessen stand nun, während der Koalitionsverhandlungen, auf einmal die Abschaffung des IFG im Raum. Allein dieser Versuch, dieser Testballon zeigt, wie wenig Verständnis offenbar in Teilen der Politik dafür da ist, dass investigativer Journalismus und eine transparente Verwaltung für eine funktionierende Demokratie höchst bedeutsam sind.

Gleichzeitig hat diese Provokation gezeigt, wie viel Unterstützung wir derzeit organisieren können, wenn die Zivilgesellschaft angegriffen wird: mehr als 430.000 Unterschriften in wenigen Tagen, zahlreiche Medienberichte, empörte Aufrufe. Das hätte ich persönlich nicht erwartet für ein Gesetz, das mich journalistisch schon seit rund 15 Jahren begleitet, aber in der Öffentlichkeit bisher wenig Beachtung fand.

Diese Unterstützung hat Mut gemacht. Und sie hat dafür gesorgt, dass der Satz im finalen Entwurf des Koalitionsvertrages geändert wurde. Nun heißt es: „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren.“ Diese Änderung im Koalitionsvertrag, sie ist schon jetzt ein wichtiges Zeichen und ein Erfolg für die Zivilgesellschaft. Was genau die neue Formulierung nun bedeutet, werden wir eng begleiten und beobachten.

Fotocredit: © Friedrich Bungert

Weitere Artikel

Abonnieren Sie unseren Newsletter!